Laudatio 26.04.2013, Dr. Helmut Orpel, GALERIE BÖHNER 

Bildende Kunst kann vieles sein, aber eingedenk der Geschichte der Kunst der letzten hundert Jahre ist sie vor allem eines immer weniger gewesen, nämlich abbildend. Im Zuge des immer kritischeren Hinterfragens des menschlichen Erkenntnisvermögens, das sich auch in der Kunst widerspiegelte, hat die Malerei oder Plastik den Anspruch aufgegeben, Wirklichkeit abbilden zu wollen. Spätestens seit Cézanne, er hat es als erster so prägnant formuliert und das gemalte Bild auf dessen formale Grundbestandteile: Kegel, Kugel und Zylinder reduziert, bildet die Bildenden Kunst nicht ab, sondern schafft. Sie schöpft ihre eigene Welt gewissermaßen aus sich selbst heraus, aus Farbe, Fläche, Form und, besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Einbeziehung des Realraumes, der mit dem künstlerisch geschaffenen Bildraum korrespondiert, auch aus dem Material des Malprozesses selbst.

Die Künstler, deren Werke in der heutigen Ausstellung der Galerie Böhner vertreten sind, rezipieren diese spannende Entwicklungsgeschichte, die zu den vielschichtigen Objekten führte, die wir heute als Kunstwerke bezeichnen. Einer ganzen Reihe solcher Reflexionen begegnen wir in den Werken, die heute hier ausgestellt sind. Hierin ist diese Entwicklung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven heraus reflektiert.

Solche Reflexionen verbinden sich auf eine sehr spezielle, unverwechselbare Weise mit den unterschiedlichen Individualstilen. Dabei steht in der Regel der einfache Wunsch, sich und seine innere Welt zum Ausdruck zu bringen im Vordergrund. Stil wird hier Mittel zum Zweck.

Mit diesen Gedanken im Hintergrund gehen wir also durch diese Ausstellung hier. Lassen Sie sich dabei nicht von zufällig entstandenen Parallelen in den künstlerischen Werken täuschen. Jeder der hier ausgestellten Künstler ist für sich zu nehmen und verkörpert mit seinem Werk eine eigenständige Position innerhalb des unendlich erscheinenden Kosmos der Bildenden Kunst. Übereinstimmungen sind, wie es in den Filmvorspannen so schön heißt, zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

Gehen wir so durch die Ausstellung, entdecken wir als erstes die Arbeiten vonHenny Lok. Sie hat in Groningen Malerei und Graphik studiert und lebt sowohl in den Niederlanden als auch in Frankreich. Ihre Bilder muten nur auf den ersten Blick figurativ an. Die durch die eleganten Damenhüte und venezianischen Masken eingebrachten Rhythmen geben dem Bild seine Ausstrahlungskraft, die weit über die bloße, genrehafte Darstellung altbekannter Motive hinausgeht. Die Künstlerin nimmt hier gewissermaßen diese markanten Linien zum Anlass, um Motiv und Hintergrund, Form und Farbe miteinander zu verschmelzen.

Im Gegensatz zu diesen, aus der vertrauten, dekorativen Form abgeleiteten Bildstrukturen stehen die ArbeitenJohn Jongbloed, der mit Überlappungen arbeitet und seine Bilder stark flächig aus sich überlagernden Schichten aufbaut. Dabei ist ein Schriftduktus zu erkennen, der zwar keine lesbaren Wörter hervorbringt und durch diese Unleserlichkeit geheimnisvoll bleibt. Die einzelnen Schichten dieser Bilder sind auf raffinierte Weise miteinander verzahnt. Manchmal erscheinen sie opak und verdecken die darunterliegende Farbe, manchmal verändern sie sie, indem sei das Kolorit wie unter einer Milchglasscheibe erscheinen lassen.

Jongbloeds Kolorit liegt in einem Zwischenbereich und ist nicht eindeutig zu bestimmen. Es sind keine schweren Töne, eher leicht und flüchtig, aber dennoch erdig und bodenverhaftet.

Dorieke Schreurs-Mourmans kommt von der expressionistischen, stark psychologisierten Malweise her. Sie nimmt aber nicht die Figur als Ganzes, sondern fokussiert den Blick des Betrachters ganz auf die gestenreiche Bewegung der Hände oder auf die Füße zweier im Gras liegender Menschen. Aus diesem Detail heraus entwickelt sich die ganze Figur im Kopf des Betrachters als konsequente Folge.

Die genaue Zeichnung dieser Details bilden die Grundlage, auf der sich die Malerei entfaltet. In die Farbe werden teilweise Naturpigmente eingebracht, sodass die Oberfläche haptisch wirkt und die bewusst gesetzten Zeichen der Veränderung, der Alterung und Zersetzung betonen. Durch unterlegte Schriftzüge, die lesbar bleiben, betont Dorieke Schreurs-Mourmans den symbolischen Gehalt ihrer Darstellungen.

Ann Hermansist eine der beiden Bildhauerinnen, die hier in der Ausstellung vertreten sind. Durch ihre vitalisierte Oberflächenstruktur erinnern ihre Formen ans Rokoko, wo man solche bewegten Außenhäute sehr schätzte. Durch diese Art der Behandlung wirkt die Gestalt etwas verwittert.

Line Bonnef, die zweite Skulpteurin in der Ausstellung, kommt im Vergleich zu Ann Hermans von einem anderen Planeten. Sie ist ganz abstrakt und möchte ihre Arbeiten als Abstrakte Kalligraphie verstanden wissen. Sie erinnern auch irgendwie an den Schriftduktus, aber anders als bei John Jongbloed, der sich an der sumerischen Keilschrift orientiert, sind es hier die geschwungenen Linien einer stilvollen Handschrift, wie sie in längst vergangener Zeit noch gepflegt wurde, Linien, schwungvolle Gesten, die in den Realraum hineinfließen.

Ähnliche Linien finden wir ein Stockwerk höher bei den Arbeiten von Erica Fromme. Hier entwickelt die pastos aufgetragene Farbe ein kurioses Eigenleben, das bezaubernde Töne und Strukturen hervorbringt, die vor dem weißen Hintergrund besonders intensiv wirken.

Ganz aus dem Rahmen der bis jetzt besprochenen Arbeiten fallen die Tierbilder vonBrigitte Fekkes, die aus der genauen Beobachtung heraus entstanden zu sein scheinen. Liebevoll und mit viel Hingabe an ihre Motive haucht sie diesen Geschöpfen ein Eigenleben ein. Freilich ist ihre Art der Darstellung nicht realistisch, sie betont eher, durch die verfremdete Farbgebung den Abbildungscharakter.

Die FinninHelka Immonen erreicht durch ihre lasierend aufgetragene Farbe ein hohes Maß an Transparenz und eine ungewöhnliche Durchsichtigkeit, die den Hintergrund und die abstrakten Formen in einen farblich geheimnisvoll akzentuierten Raum verwandelt, der den Betrachter magisch anzieht. Achten sollte man dabei auf die unterschiedliche Dichte, in der der Farbauftrag erfolgt, denn durch diese sensibel austarierten Nuancen balanciert sie das Gleichgewicht zwischen dem tiefschichtigen Hintergrund der Körper, die vor diesem wie im freien Raum schwebend erscheinen, aus.

Andrea Flätgen arbeitet mit ähnlichen, schwer bestimmbaren Farben, die ebenfalls eine tiefschichtige Bildwirkung gegeben. Der Bezug auf die menschliche Gestalt scheint hier allerdings eher ein Anlass, ein Vorwand, um tief in die Seele zu blicken und in unbewusste Schichten einzutauchen. Dies unterstreicht sie, indem die die Raumwirkung ihrer Bilder durch schleierartig aufgebaute Schichten erweitert. Changierende Schichten führen schließlich zu fließenden Formen, so dass die gemalten Gesichter wie sich rasch auflösende Nebelfiguren erscheinen