11.03.2018 – 30.05.2018
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
besser als mit ihren eigenen Worten kann man es kaum sagen, wenn man über die Malerei von Andrea Dürr spricht. Sie sagte: „Meine Art des Malens ermöglicht das Entstehen von Räumlichkeit in den Bildern. Sie sind wie offene Türen, durch die man als Betrachter wie bei einem Spaziergang flanieren kann.“ Diese Aussage wird durch die Bilder hier in der Galerie Böhner in der Schwetzinger Vorstadt voll bestätigt, denn in der Tat fühlt man sich wie bei einem Spaziergang durch Landschaften, die sich zum Horizont hin weiter öffnen und in ihrer Tiefe endlos erscheinen. An Landschaften denkt man zuerst. Und damit ist man auch ziemlich rasch bei den Impressionisten, bei Renoir, Signac und Monet, bei dessen späten Werken die Farbe und somit das Licht immer mehr zum eigentlichen Thema der Malerei geworden ist.
100 Jahre nach Monet brauchen Bilder längst keinen gegenständlichen Bezug mehr, um ernst genommen zu werden. Und auch bei den hier ausgestellten handelt es sich zum größten Teil um informell abstrakte Arbeiten. Lediglich die zarte Betonung des tiefen Horizontes, wie es bei den meisten Beispielen hier der Fall ist, suggeriert noch den landschaftlichen Bezug. Über diese zarte Andeutung hinaus gibt es keinen Hinweis auf irgendwelche gegenständlichen Absichten oder eine thematische Wiedererkennbarkeit in Gestalt von Verweisen oder Symbolen. Es sind vielmehr frei gestaltete Farbräume, in die wir eintreten. Aber dennoch geben die farblichen Wirkungen unbewusst Stimmungen vor, die von unseren Sinnen aufgenommen werden.
Die impressionistischen Assoziationen, die sich aufgrund unserer Bilderfahrung beim ersten Gang durch die Ausstellung unwillkürlich einstellen, reichen also offenbar nicht aus, um den Inhalt dieser hier ausgestellten Werke zu erfassen. Wie die Titel verraten, die hier von links nach rechts gehend folgendermaßen lauten: „Schwungvoll“, „Spring“, „Sanfter Zauber“, „Einladung zum Verweilen“, „Zarte Begegnung“ und „Geheimnisvolle Wege“, beinhalten sie doch offenbar weit mehr als nur die äußere Impression und können in ihrer hermeneutischen Unbestimmtheit keinesfalls am Anfang eines solchen Malprozesses stehen, sondern entstehen gleichsam parallel dazu in dessen Verlauf. Dabei spielt die Einstellung zum Kolorit, das für die Künstlerin offenbar wie die Tastatur auf einem Klavier erscheint, eine entscheidende Rolle. Die Farben werden von ihr ähnlich beschrieben wie die Töne und Akkorde in der Musik.
„Farben berühren uns, Farben spielen die Klaviatur unserer Stimmungen, Farben locken uns an und stoßen uns ab, Farben sind sinnlich. Gerade die Natur mit ihren ständig wechselnden Farben im Laufe der Jahreszeiten gibt wichtige Impulse“, sagt Andrea Dürr an anderer Stelle des gleichen, auf ihre Homepage publizierten Textes und gibt damit Auskunft über die grundlegende Intention, die hinter ihrer Malerei steht, denn die Form auf der einen Seite und der Begriff auf der anderen setzen der freien Entfaltung der geistigen Energie enge Grenzen, eine Energie, die sie offenbar freisetzen möchte, indem sie die engen Grenzen, die Formen setzen, in ihren Bildern sprengt. „Von der Wesensart der Farbe“ ist in einem anderen Text die Rede. Der gilt es auf den Grund zu kommen:
Die Wesensart der Farbe: Wesen stehen nicht allein, sondern verursachen Wechselbeziehungen, im Falle der Farben mit dem Licht, denn ohne Licht gäbe es keine Farben. „In der Nacht sind alle Katzen grau“, heißt es. Seit der Venezianischen Renaissance, seit Tintoretto, Tizian und Giorgione, gibt es in der Malerei der westlichen Welt einen fundamentalen Paradigmenwechsel, nämlich den von der Form zur Farbe. Diesen Paradigmenwechsel erleben wir bei den Impressionisten besonders intensiv und in der zeitgenössischen Kunst immer wieder. Herausragend in Deutschland, um nur ein Beispiel zu nennen, sind die Farbkissen von Professor Gotthard Graubner. Die Erkenntnis, die dahinter steht, ist die, dass sich die Farbe vom Gegenstand löst und eine Art Aura bildet, die sich vom Bildraum in den Realraum hinein erweitert, Schwingungen erzeugt, die vom Betrachter aufgenommen werden.
Diesen Schwingungsprozess können Sie hier in den Bildern von Andrea Dürr recht gut nachvollziehen. Die Farbräume, eingangs wurde gesagt, dass sie in die Tiefe führten, erweitern sich auch hier über die Formatgrenze der Leinwand hinaus. Sie lösen sich gewissermaßen vom Bildkörper und scheinen, wenn man sich auf dieses Spiel einlässt, vor dem Bildkörper zu schweben. Die Malerei erscheint nicht mehr flächig, sondern eher dreidimensional. Deshalb scheint es auch als sei der landschaftliche Bezug wie er eingangs erwähnt wurde, hier nur ein Mittel zum Zweck, eine erste Stufe der Annäherung an den Inhalt der Bilder von Andrea Dürr. Der Künstlerin geht es offenbar auch in diesem Zusammenhang um weit mehr, nämlich um eine wesentlich tiefere Dimension der Erkenntnis.
Sie untersucht auf praktische Art und Weise die tiefschichtige Wirkung der Farbe und baut ihre Bilder auch entsprechend auf. Nur durch das immer wieder neue Auftragen von Lasurschichten kann diese Tiefe entstehen, die vom Betrachter in ihrer lichtdurchfluteten Intensität empfunden wird. Dabei orientierte sich die Künstlerin an ihrem Lehrer, Paul Pollock, bei dem sie in Freiburg, wo sie lebt und arbeitet, Unterricht genommen hat. Farbe, das geht aus dem oben zitierten Text hervor: „Painting out of Colour“, „Malen aus der Farbe“ – war dabei so ein Leitthema. Dabei lässt sich der Maler absichtslos auf die Farbe ein und versucht, den Kopf so weit wie möglich draußen zu lassen. Allerdings geschieht das Ganze auf der Basis des Wissens um „die Wesensart der Farbe“, von der bereits die Rede war.
Diese Synthese von Gedanken und Gefühlen leitet Andrea Dürr bei ihrer Arbeit, in die sie sich sehr subjektiv einbringt. Das Bild entwickelt sich dabei quasi absichtslos. Selbstredend, dass die Künstlerin hier keine vorgefertigten Industriefraben verwendet, sondern diese selber mit wertvollen Pigmenten und Bienenwachsbinder herstellt, um so die Wirkung des Bildes über die Transparenz und Dichte der unterschiedlichen Lasuren, die hier übereinander aufgetragen sind, zu steuern.
Die Arbeiten von Andrea Dürr entstehen prozesshaft, wobei Subjekt und Objekt miteinander verschmelzen. Gefühle materialisieren sich in den Farbräumen der Fantasie. Der Malprozess erscheint hier als eine kongeniale Verbindung zwischen dem meditativen Akt und dem künstlerisch technischen Wissen um die Beschaffenheit von Farbe. Dadurch wird erreicht, dass geistigen Ströme der inneren Welt farbliche Gestalt annehmen und so für den Betrachter sichtbar und fühlbar werden. Malerei wird hier gewissermaßen zu einem intersubjektiven Prozess zwischen Künstler und Betrachter, der über die Wirkung der Farbe auf das Gefühl vermittelt ist und, wie die Titel verraten, ohne gegenständliche Bezüge auskommt.
Text: Dr. Helmut Orpel
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