23.10.2020 – 10.03.2021
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
das Auffällige an den Figuren von Alexandra Fromm ist die Bewegung, in der sich die festen Konturen aufzulösen scheinen. „Hybriden“ hat sie als Titel gewählt. Aber, wie so oft, sollte man sich von Titeln nicht irritieren lassen, denn sie erhellen meistens nichts und führen eher dazu, ein Werk misszuverstehen. Für das Verständnis hilft hier eher der Kontext weiter, in dem die Werke stehen. Zeichnungen und Malereien spielt im Schaffen von Alexandra Fromm eine mindestens ebenso große Rolle wie die dreidimensionalen Objekte. Die Gemälde der Künstlerin sind oben, im ersten Obergeschoss der Galerie Böhner zu sehen. Diese in die Betrachtung einbezogen, lassen die anmutigen Bronzen im Erdgeschoss wie eine Fortsetzung ihres Zeichnens in der dritten Dimension erscheinen, Dabei geht sie oft bis zur Auflösung der Konturen in der Bewegung.
In der Ausstellung der Sammlung & Galerie Böhner im Bechtle-Haus bilden Fromms Plastiken einen spannenden Gegensatz zu den Arbeiten der belgischen Keramikerin Anita Fleerackers. Wuchtig und dominant wirkt ihr orangener Stier im Foyer, der sich angriffslustig in den Vordergrund schiebt. Um die Wirkung dieser Figur zu verstärken, hat sie von den runden, organischen Formen abstrahiert. Es geht hier nicht um einen wie auch immer gearteten Naturalismus, es geht um die Form, die hier an den Kubismus erinnert. Fleerackers Landsmann Jean-Marc Aloy überzeugt den Betrachter durch seine weiten ruhigen Landschaften. „Mit starken Empfindungen aufgeladene Malerei“ denkt man beim ersten, flüchtigen Blick. Es handelt sich hierbei allerdings um Fotografien, die durch lange Belichtungszeit entstanden sind.
Tierbilder sind in der zeitgenössischen Malerei äußerst selten. Vor allem dann, wenn damit ein hoher künstlerischer Anspruch verbunden ist. Dabei wirken Tiere überaus inspirierend, wie uns die Arbeiten von Inge Gründel-Pfaff zeigen. Ihr kommt es, wie die Großvögel zeigen, weniger auf Abbildungstreue an, sondern vielmehr auf die Lebendigkeit, die ihre Bilder ausstrahlen.
William Francis Brennan beeindruckt durch seine überaus komplexen Bildräume, in denen sich das Auge zuerst einmal zurechtfinden muss. Bevor Brennan 2008 aus den USA nach Deutschland übersiedelte, hatte er bereits eine bedeutende künstlerische Laufbahn abgeschlossen. Dabei ist auffällig, dass bei seinem Werk Kunst und Handwerk zusammenfließen. Er arbeitet nicht nur als erfolgreicher Maler, der seine Werke in Galerien verkauft, sondern auch als Möbeldesigner und Bühnenbildner. Sich selbst bezeichnet er als „Impressionist“, der die Begegnung mit der Natur braucht. Auf dieser Basis entwickelt er aber eine ungeheure Experimentierfreude, die zu unglaublich abwechslungsreichen Bildern führt, bei der Impression und Abstraktion, klassische Komposition und experimentierfreudige Destruktion Hand in Hand arbeiten.
Auch die Luxemburgerin Genevieve Reille-Taillefert hat eine überaus interessante Biografie. Sie hat 10 Jahre an der Ecole des Beaux-Arts in Paris studiert und sich dort auf die Freskenmalerei spezialisiert. Über die Restaurierung von Wandfresken hat sie auch ein Buch geschrieben. Die intensive Beschäftigung gerade mit diesem Thema hat auch ihr eigenes Schaffen geprägt, denn unverkennbar gibt es hier historische Vorbilder aus dem Bereich der Murales. Monumental, dynamisch, mit einer Tendenz zum Pathetischen, so könnte man ihre Werke beschreiben.
Die Bilder des in Ungarn geborenen Malers Laszlo Racz erschließen sich dem Betrachter erst nach einer Weile. Sukzessive entwickeln sich aus den zunächst willkürlich anmutenden Farbfeldern spannende Räume. Je nach Lichteinfall oder Blickwinkel können sich diese Räume verändern. So bleibt der Bildeindruck nie statisch, sondern bietet immer wieder neue Seherlebnisse.
Bei Natacha Skorochod Velazquez, die in Straßburg lebt, wird die visuelle Kraft der Farben durch eine subtil wirkende Materialität verstärkt. Auf diese Weise wirken die sedimentartig aufgebauten Oberflächen ihrer Bilder bisweilen sehr lebendig, so als seien sie natürlichen Verwitterungsprozessen ausgesetzt gewesen.
Bei den Arbeiten von Mike Braun ist es die Leuchtkraft der Farben, die den Betrachter in den Bann ziehen. Dabei entwickelt er eine eigene Technik, bei der er mit Acrylfarben nass in nass malt. Seine künstlerischen Vorbilder findet er in der Romantik. Eine große Sympathie für Caspar David Friedrich spricht aus manchem seiner Motive.
Auch Thomas Palme setzt auf kräftige Farben und starke Hell-Dunkel-Kontraste. So schafft er durch schwarze Strukturen, die sich netzartig über die stark leuchtenden Farboberflächen legen, eine besondere räumliche Tiefe. Wie bei einer Gartenlandschaft, die man durch ein Gitter hindurch leuchten sieht, wird der Blick magisch angezogen.
Die Schweizerin Selina Lohe war ursprünglich Werbefotografin und entdeckte über die Fotokamera ihren Weg zur Kunst. Dabei ging sie über den rein abbildenden Charakter der Fotografie hinaus und inszenierte durch spezielle Lichtinstallationen eine surreale Bildwirklichkeit. Selbst bei genauerem Betrachten entstehen Irritationen, um welche Technik es sich bei ihren Werken handelt. Fotografie, Malerei und feine Tuschezeichnungen verschmelzen ineinander.
Andrea E. Srokas bildnerisches Werk ist sehr vielschichtig und greift aktuelle Themen auf, wie in einem aktuellen Zyklus das Beethovenjahr, dem sie eine Wende hin zum Klimawandel gibt. Entsprechend der unterschiedlichen Bedeutungsebenen, die hervortreten, wenn man eine solche Persönlichkeit aus dem Blickwinkel eines späteren Jahrhunderts sieht, sind ihre Bilder vielschichtig und tiefgründig aufgebaut und beziehen Stellung. Sie arbeitet dabei mit unterschiedlichen Medien (Malerei, Graphik, Fotografie), die sich auf kongeniale Weise zusammenfügen. Die handwerklichen Fähigkeiten dazu erwarb sie sich bei einer Ausbildung als Mediengestalterin in Leipzig, damals noch DDR. Seit 1985 lebt sie in Ulm.
Sehr ästhetisch wirken die Arbeiten von Christine Kessler, die die Welt durch zarte, filigrane Libellenflügel wahrnimmt. Sie verbreiten eine friedvolle, harmonische Stimmung und treten mit dem Betrachter in Dialog. Judith Boys Arbeiten korrespondieren mit ihren Tanzperformances, die man aus dem Internet kennt. Dabei erscheinen sie vielfarbig, bisweilen schrill, aber immer voller Anmut!
Text: Dr. Helmut Orpel
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