17.05. – 31.07.2022
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
Pop-Art ist eine sommerliche Kunst. Eiscremefarben kommt sie daher, comicartige Strandszenen, die Himmel blau, weit offen. In der Zeit der Pop-Art herrschte Aufbruchstimmung – eine junge Kultur mit weltweiter Ausstrahlung und spartenübergreifend. Was als Designrichtung in den USA begann, infizierte bald die Musik, die Literatur, Film und Theater und schließlich die Bildende Kunst insgesamt. Ein Paradigmenwechsel: In der Pop-Art ist Kunst Design – und Design Kunst. Zwischen Kunst und Leben wurden die Grenzen, wo nicht aufgehoben, so doch zumindest durchlässiger. Die Kunst gefiel sich in ihrer Alltagstauglichkeit.
In diese Welt wurde Hermann Simon Wind, dessen Werke heute hier einen dominanten Teil der Ausstellungsfläche für sich beanspruchen, hineingeboren. In Mannheim erblickte er das Licht der Welt. In Spanien, genauer gesagt, in Katalonien, verbrachte er einen Teil seiner Jugend. Dort, an der Costa Brava, hatte sich die Familie niedergelassen. In Barcelona ging Wind zur Schule. Angel Planells (1901-1989), ein bekannter katalanischer Künstler, unterrichtete ihn im Zeichnen. Später kam noch der Realist Luis Fuentetaja hinzu.
Nicht nur durch den hochwertigen Unterricht dieser Lehrer wurde er inspiriert. Sitges, der Küstenort mit Kultcharakter, bot dem jungen Kunsteleven permanente Anregungen. Straßenkünstler, das pralle Leben, die Strände. Die Erinnerung an diese unbeschwerte Zeit wird in mancher Strandszene wieder lebendig. In den hohen Horizonten, den blauen Himmeln und den unzähligen anheimelnden Details, den Eisenbahnen, Oldtimern, historischen Flugzeugmodellen, Comics und den Pin Up Girls, die damals den Aufbruch in eine unbeschwerte, leichtlebige Erotik markierten. Alle diese Details, für die man sich als Junge damals so interessierte, geben sich hier ein munteres Stelldichein.
Sie symbolisieren darüber hinaus aber noch weit mehr als eine individuelle Geschichte: Spanien war damals im Aufbruch. Die Diktatur verschwand mit dem Diktator Franco. Touristen aus aller Welt entdeckten die schöne Küste. Die spanische Kunst erlebte vielfach eine Neubelebung, vor allem durch Salvador Dalí, der mit seinen bisweilen verstörenden Werken die Welt in Erstaunen setzte. Dazu kam noch seine Performance, eine ganz der Pop-Art gemäße Inszenierung, und Vorbild für die nachfolgenden Generationen von Elvis Presley bis hin zu Michael Jackson. Salvador Dalí bot dabei allerdings nicht nur den schönen Schein der Kunst, sondern auch den seelischen Tiefgang, welcher der US-amerikanischen Pop-Art bisweilen abging.
Bei der genaueren Betrachtung der monumentalen Gemälde von Hermann Simon Wind fällt auf, wie viel sie diesem Meister aus Cadaques verdanken. Wie Dalí greift Wind bekannte Motive mit Symbolcharakter auf und reiht sie in einen völlig veränderten Kontext ein. Ganz im Sinne der Kunst des Surrealismus werden hier traumartige Assoziationsketten evoziert und miteinander verknüpft. Der Bildraum ist kein Kontinuum mehr, wie er es seit der Renaissance war, sondern vielmehr, eine Verkettung von Raum und Zeit wie bei einem Film, wo unterschiedliche Sequenzen zeitgleich nebeneinanderstehen, ohne technisch miteinander verbunden zu sein.
Das Weiterlaufen der Filmspule würde den Widerspruch auflösen, aber aus irgendeinem Grund ist sie hängengeblieben und mit ihr die Eindimensionalität der Zeit. Das dies auch bei der schier unfassbaren Monumentalität – hier beispielsweise von um die sechs Meter – so überzeugend zur Geltung kommt, verdanken diese Arbeiten einer außergewöhnlichen Technik:
Die Ölfarben werden nicht gemischt, sondern rein auf die sorgfältig grundierte Fläche aufgetragen, sodass sie ihre optimale Leuchtkraft behalten.
Das ist ein langwieriges Verfahren, das immer wieder von Trocknungsphasen unterbrochen wird und sich wochen-, ja sogar monatelang hinziehen kann, zumal Wind dabei die Farbabstufungen auf die bereits vorhandenen Figuren abstimmen muss. Sie wurden vorher auf die Leinwand gemalt, wodurch sie, nebenbei bemerkt, das hohe Maß an Plastizität, das sie auszeichnet, erhalten.
Der Aufwand lohnt sich, wie sie hier sehen können, denn hier im Auditorium des Kunstraums Gutperle ist so eine Art surreales Theater entstanden, wie es der Besucher des Dalí Museums in Figueras kennt. Ebenso wie dort, stehen die Bilder hier im Kontext der theatralen Inszenierung mit Objekten und anderen Bildern, die einen assoziativen Zusammenhang kreieren, wie er an sich schon den Bildern inhärent ist.
Verlassen wir das Auditorium auf unserem weiteren Rundgang durch den Seitengang, gelangen wir in einen weiteren Raum mit Winds abstrakteren und experimentellen Bildern. Dabei werden wir entdecken, dass der Künstler auch andere Phasen kennt, wo er keinesfalls figurativ gearbeitet hat.
Durch diesen Raum hindurch gelangen wir in den japanischen Teil der sommerlichen Ausstellung und erleben hier gewissermaßen eine Fortsetzung der surrealen Inszenierung. Zunächst einmal von Künstlerinnen und Künstlern, die aus einem auf den ersten Blick fremd erscheinenden kulturellen Kontext stammen.
Auf den ersten Blick, denn wer sich erinnert, wie viel gerade die französische Avantgarde in der Zeit des Fin de Siècle den Japanern zu verdanken hat, wird verstehen, warum die frischen Farben und Skulpturen sich so organisch mit den surrealistischen Bildern Winds zusammenfügen. Da sind zunächst einmal die Skulpturen von Yuko Akiya:
Es ist erstaunlich zu hören, dass ihre Skulptur sehr stark von der japanischen Blumensteckkunst ‚Ikebana‘ beeinflusst wurde – ebenfalls eine Kunst, die den Raum mit einbezieht und an die noch die bunten Elemente an ihren wirbelartigen Skulpturen erinnern, die von der Kraft und Gewalt der Natur erzählen, die nirgends so präsent ist wie in dem durch Naturkatastrophen so geplagten Japan.
Akiyas Skulpturen kreiert Räume und verbinden in diesen Kreationen Statik, was ja eine Grundbedingung für Räume ist, und Dynamik, welche die Räume unter Umständen auflöst. Wie kongeniale Ergänzungen zu diesen Skulpturen erscheinen hier die Arbeiten von Sumiko Mizuno. Hier begegnen wir übereinander gelagerten Formenschichten, die von kettenartigen Gebilden umschwebt werden.
So könnte man sich das DNA vorstellen. Wie die Murmeln eines Kinderspiels sind hier die potenziellen Gaben und Möglichkeiten aufgereiht, die das Schicksal für die betreffende, erst noch im Entstehen begriffene Kreatur bereithält. Ranko Kizaki hält mit seiner Form, den Schriftrollen, an der japanischen Tradition des Rollbildes fest.
Die Kalligraphie galt neben der Poesie und der Kampfkunst als grundlegender Bestandteil der Ausbildung eines Edlen. Erstaunlich sind die aus der christlichen Ikonographie stammenden Muster, derer sich Mieko Takahashi bedient. Dabei scheint es allerdings mehr um die ästhetischen Experimente zu gehen, die auch in anderen Werken im Sinne der Bildcollage zu beobachten sind.
Den traditionellen Themen wie den Jahreszeiten und deren Lichtstimmungen hat sich Aoko Mitani mit ihrer sehr stimmungsvollen Bilderfolge zugewandt und schließlich der Impressionist Hiroshi Yamazoe, der, wie diese historischen Vorbilder, gegen das Licht malt, wodurch die allzu klaren Konturen verschwimmen. Bei den neuen Arbeiten steigert er die natürlichen Farben ins Unwirkliche. Deutlich wird in der Betrachtung dieser Bilder der dynamische Augenblick, der zwischen dem Entstehen und Vergehen eines Lichteindrucks liegt. Die Szenen wirken atmosphärisch aufgeladen.
Einen ähnlichen Weg geht die Gastgeberin dieser Ausstellung, Gerdi Gutperle, mit ihren Werken. Die Malerei wird durch Ayurvedastoffe aus dem indischen Dschungel überdeckt. Erst mit der Zeit erkennt man die darunterliegenden Farbschichten, die dadurch visuell aufgelöst und somit verrätselt werden.
Text: Dr. Helmut Orpel
Presse: Gemeinsame Ausstellung: Die Mannheimer Galerie Böhner in Kooperation mit dem Kunstraum Viernheim
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