27.04. – 14.09.2018
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
der Eindruck, den die Ausstellungsauswahl der Galerie Böhner diesmal gibt, wird von besonderen Gegensätzen dominiert, die sich schon hier im Foyer, wo ja bekanntermaßen das gesamte Spektrum der künstlerischen Werke, auf die Sie bei Ihrem Gang durch die Räumlichkeiten stoßen werden, seine Wirkung entfaltet. Gegensätze beleben den Diskurs über die Kunst und zeigen, dass es in der Kunst weder einen Fortschritt noch einen Rückschritt gibt, was Techniken, Themenbehandlung und Medien angeht. Auch die Formensprache, die beispielsweise in der klassischen Bildhauerei bei Aristide Maillol vorhanden war – im hohen Maße abstrahierte Figuren als Ausdrucksträger – wird immer wieder neu belebt, wie hier in den Arbeiten von Adolf Graessmann, der ganz auf den überschwänglichen Gestus verzichtet und klare, hochkonzentrierte Formen von hoher Wirkungskraft geschaffen hat. Thematisch scheinen sie genauso konzentriert zu sein wie bei der formalen Gestaltung. Graessmann geht es offenbar um das elementare Grundbedürfnis des Menschen nach Nähe, nach der Präsenz des Gegenübers, wie in diesen Arbeiten offensichtlich wird.
Hier im unteren Ausstellungsbereich der Galerie finden Sie auch die an historische Artefakte erinnernden Arbeiten der Hamburger Künstlerin Alex F. Dafür verwendet sie ganz bewusst historische Techniken und erzeugt Werke mit einer geradezu faszinierenden Aura. Unter den hier ausgestellten Arbeiten stechen vor allem die kriegerisch anmutenden Darstellungen hervor, die von der Erstürmung einer katalanischen Burg erzählen und aus der Zeit der Reconquista zu stammen schienen, als fast die gesamte iberische Halbinsel unter maurischer Herrschaft stand und nur kleine Bastionen im Norden, zum Beispiel in Katalonien, den islamischen Heeren trotzten. Ein freskenartiger Bildaufbau wie dieser erfolgt sehr langwierig und sensibel. Dabei geht Alex F. genau den umgekehrten Weg wie der Restaurator. Wie dieser Schicht für Schicht freilegt, um so die wertvollen Fragmente der Zeit zu entreißen, baut sie Schicht für Schicht auf, um einen atmosphärisch dichten Raum zu erzeugen. Dabei kommen nicht nur wertvolle Pigmente, sondern auch Blattsilber, Bronze und Blattgold zum Einsatz. Als Trägermaterial verwendet sie häufig unbehandelte Naturleinwand oder individuell angefertigte Holzplatten.
Im Gegensatz zu diesen Dauer und Beständigkeit suggerierenden Werken stehen die Fotografien von Daniela Paulus. Die Hektik der großen Städte: Barcelona, Lyon oder Berlin scheint sie ungemein zu faszinieren, denn etwas davon spürt man in ihren Arbeiten, die hier nicht die bekannten Sujets ins Visier nehmen, sondern sich eher einen persönlichen Blick hinter die Kulissen dieser Städte erlauben. Dabei bezieht sie sich eher auf die zufällige Begegnung mit dem Licht, das in einer Schaufensterscheibe Spiegelungen hervorruft, die dort aus ganz unterschiedlichen Perspektiven kommend zusammentreffen und eine besondere Stimmung entstehen lassen. Diese Reflexionen und die dabei nicht ausbleibende Unschärfe lassen dabei abstrakt wirkende Bilder entstehen, deren Rhythmik Daniela Paulus in einem Teil ihrer Werke mit collagenhaften Elementen verstärkt.
Auf geradezu umgekehrte Art und Weise arbeitet Gina Kühn bei ihren Übermalungen bewziehungsweise in Malerie integrierte Fotografieversatzstücke oder auch Collagen. Auf den ersten Blick überwiegt hier die Malerei. Erst bei näherem Einlassen auf diese Werke entdeckt man die Fotografien, die wie Fenster in eine andere Welt, die hinter dem gemalten Bild sichtbar wird, wirken. Nikolas Mühlethaler betont bei seinen sehr beruhigend wirkenden Panoramabildern einen weiteren Aspekt der fotografischen Bildschöpfung, indem er bekannten Landschaften und Städten durch ein ungewöhnliches Panoramaformat neue, ungewohnte Reize abgewinnt. Hier ist es vor allem die Weite des Blicks, der über die naturgegebenen Grenzen des Blickwinkels hinausgeht. Seherlebnisse werden dadurch möglich, die Dinge einbeziehen, wie wir sie normalerweise nur erfassen, wenn wir unseren Blickwinkel verändern und so den hier entstandenen Eindruck des räumlichen Nebeneinanders zeitlich hintereinander verlagern.
Zunächst einmal fällt also bei aller Verschiedenheit auf, dass sich in dieser spezifischen Ausstellung der Galerie Böhner ein größerer Teil der ausgestellten Werke mit dem Thema Fotografie auseinandersetzt. Aber darin erschöpft sich die aktuelle Ausstellung natürlich nicht. Man kann sagen, dass hier, was die Gattungen betrifft, ein ungewöhnlich breites Spektrum vertreten ist. So die Malerei. Auch in diesem Bereich stoßen wir auf ganz verschiedene Grundpositionen, wenn wir hier zum Beispiel die Arbeiten von Marion Hämer und die von Reinhard Bogisch gegenüberstellen. Auf der einen Seite, bei Hämer, steht die Stofflichkeit stark im Vordergrund, auf der anderen, bei Bogisch, ist es vor allem die illusionistische Präsenz. Hierbei spielt die Stofflichkeit der Farbe nur eine untergeordnete Rolle. Es geht hier ganz um die optischen Effekte. Während bei Bogisch das Auge immer neue Zusammenhange und Räume entdeckt, die durch die wechselseitige Durchdringung in er Konstruktion überraschen, spürt man bei Hämer die erdigen Schwingungen der Farbe, die hier materialreich aufgetragen ist und durch den Kontrast mit Schwarz zusätzlich verstärkt wird. Um Materialität geht es offenbar auch Otto Mayer in seinen Arbeiten mit Rostpatina. Die suggestive Kraft dieser Arbeiten wird nicht zuletzt von der energetischen Ausstrahlung des Materials bestimmt, das hier sehr bewusst in Schwingung versetzt wird und mit einer geradezu fühlbaren Radikalität auch die Destruktionskraft, die dieses Material verformt und umgestaltet.
Ute Illig würde man spontan den russischen Konstruktivisten zuordnen, wenn man ihren Arbeiten hier im oberen Stockwerk zum ersten Mal begegnet. Doch bei näherem Hinsehen merkt man, dass die einzelnen Bildelemente hier viel malerischer behandelt sind und sehr viel mit Musik zu tun haben, zu deren geheimnisvoller Kraft Ute Illig offenbar eine farbliche Entsprechung sucht. Ganz anders wiederum die filigranen Zeichnungen von Christine Stettner. Ihre Bilder entstehen in einem langwierigen Prozess und durch den gezielten Einsatz ihres gesamten Formenrepertoires sowie ihrer technischen Möglichkeiten, die sie sich nicht nur während ihres Kunststudiums in München, sondern vor allem in jahrelanger praktischer Erfahrung im Atelier angeeignet hat. Ihr gegenüber befinden sich die Arbeiten der Luxemburgerin Juliette Haag, die nicht nur Farbe verwendet, sondern auch feine Papiere, die sich wie Schleier über die unterschiedlichen Malschichten legen und so die zarten Töne der Farben besonders wirkungsvoll zur Geltung bringen. Den Schwerpunkt in dieser Ausstellung hat die Künstlerin eindeutig auf die Sujets Natur (Hund) sowie Akt gelegt.
Die Figuren in den Arbeiten von Rudolf Paul Renfer schweben zwischen Abstraktion und Kontur. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um stilisierte Figurengruppen, die mehr oder weniger dicht nebeneinanderstehen und durch ihre abwechselnde Farbigkeit eine positive Stimmung ausstrahlen. Auch Anima Kremer, deren Arbeiten Sie in unterschiedlichen Bereichen des Hauses finden, setzt sich sehr stark mit der Graphik auseinander und hat sehr stimmungsvolle Blätter geschaffen, zum Beispiel das schon vor Jahren entstandene Blatt „Roter Retina“, das sie in den oberen Ausstellungsräumen finden. Andrea Schwery arbeitet mit unterschiedlichen Farben, Stiften und Papieren. Dadurch strahlen ihre Blätter Optimismus und Lebensfreude aus. Kleine Geschichten sind darin verwoben, über deren Bedeutung sich der Betrachter selbst Gedanken machen sollte.
Text: Dr. Helmut Orpel
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