14.04. – 10.09.2023
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
hier in dem vorderen Bereich der Sammlung & Galerie Böhner befinden sich die Arbeiten von Atma. Zeichneten sich ihre bisherigen Werke durch vielschichtig aufgetragene, transparente Lasurfarbtöne aus, so sind es bei den aktuellen Arbeiten wuchtigen Schichtungen, die sich kraftvoll aus einem imaginären Bildzentrum heraus entwickeln.
Möglich, dass bei ihrer Suche nach neuen Ufern die Auseinandersetzung mit den Skulpturen des britischen Künstlers Tony Cragg eine Rolle spielten, zu denen sie, wie sie einmal in einem Gespräch erzählte, eine besondere Affinität entwickelt habe. Ganz entfernt erinnert der tektonischen Bildaufbau an diesen Künstler. Hinweise hierfür sind das Wechselspiel von Licht und Schatten, das den Darstellungen eine schroffe, kantige Anmutung verleiht. Im Wechselspiel entfalten sich kraftvolle Schwingungen.
Hierzu passen die Arbeiten der Malerin und Bildhauerin Dagmar Schad in der Nachbarschaft. Das intensive Schwarz, das sich in den Vordergrund schiebt, wirkt wuchtig und lässt im Wechselspiel mit den tektonischen Gebilden im Hintergrund einen magischen Zwischenraum entstehen, der für die Bildwirkung entscheidend ist. Die schwarze, mit breitem Pinselstrich aufgetragene Farbe, verleiht der Komposition Festigkeit und Zusammenhalt und schafft darüber hinaus eine räumliche Distanz zwischen den unterschiedlichen Bildebenen. Landschaften kann man als Inspirationsquellen vermuten. Aber dieser impressionistische Ansatz wurde im weiteren Verlauf des Malprozesses weitestgehend eliminiert. Die Bilder wirken allein durch ihre dynamische Kraft.
Abstraktion ist ein Stichwort, das bei der Fotografie der vor einigen Jahren verstorbenen Fotografin Elke Lehmann eine zentrale Rolle spielte. Über den langen Weg der praktischen Erfahrung hatte sie sich ihrer Art der „Abstrakten Photographie“ erarbeitet. Mit Beleuchtungssystemen, wobei sie sich allerhand Tricks hat einfallen lassen, und Spiegeln inszenierte sie unterschiedliche Lichteffekte, die sie fotografisch erfasst.
Vorbilder fand sie in der Musik von John Cage und Igor Strawinsky, in den fiktionalen Erzählungen von Stanislaw Lem und in Ransmayrs Roman „Schrecken des Eises und der Finsternis“.
Es sind solche starken Motive, die Elke Lehmann tief bewegten und die sie auf ihre Art und Weise mit der Kamera „in Licht zeichnete“. Nur durch die Kunst erhält der rasch vergängliche Augenblick eine bleibende Gestalt und lebt als Objekt gewordene Idee fort.
Elke Lehmann arbeitete ausschließlich mit analogen Kameras, weil, wie sie sagte, die digitalen dem Fotografen keine Möglichkeit ließen, die Art und Weise der Aufnahme zu bestimmen. So erfasse die digitale Kamera das Motiv technisch perfekt, reduziere die Schärfentiefe aber erheblich. Dies führe automatisch dazu, dass die so entstandenen Aufnahmen flacher und langweiliger erschienen als die analogen.
Gerold Maier, zusammen mit Claus-Peter Böhner-Fery auch Leiter der Galerie Böhner, war schon von Anbeginn an als Ausstellungskünstler aktiv. Von der Malerei herkommend hat er sich auf besondere Formen von Fotografie spezialisiert. Auch er arbeitet nicht digital, dafür aber mit einer ganz besonderen Kamera, nämlich der Polaroid, einem Verkaufsschlager aus den 70er Jahre. Dabei konnten die Bilder automatisch entwickelt werden und man brauchte nicht tagelang auf die Abzüge zu warten, was damals in Kauf genommen werden musste, wenn man fotografieren wollte. Allerdings reduziert das Material, das dabei verwendet wird, die Farben und tendiert zur Monochromie. Dadurch erhalten diese Arbeiten eine graphische Anmutung, die sich Gerold Maier für sein künstlerisches Konzept zu Nutze macht.
Interessant ist der Gegensatz, den Gerold Maier hier in der Ausstellung auf diese Weise aufbaut. Es sind einerseits Naturbilder, andererseits Architektur. Besonders bei der Architektur lassen sich durch die Reduzierung der Farbintensität graphische Wirkungen erzeugen, bei denen man zunächst einmal gar nicht an Fotografien denkt. Es könnten auch Lithographien sein oder sogar Radierungen.
Wirken die Fotografien von Gerold Maier strukturiert und durchkomponiert, so erscheinen die von Mathias Zerb aperspektivisch und spontan. Der Mediengestalter und Designer sucht in Frankfurt, wo er arbeitet und lebt, nach ungewöhnlichen Perspektiven. Spannend findet er bei der Polaroid, dass solche unmittelbaren Impulse zum Konzept der Polaroid gehören und auch die Bildentwicklung unvorhersehbare Überraschungen bietet. Zu seinem Statement gehört es auch, dass er den besonderen technischen Charakter der Polaroid Fotografie nicht versteckt, sondern, wie zum Beispiel den weißen Rand, in seine sauber gerahmten Bildobjekte einbezieht.
Die Landschaften von Heidi Schütte-Kunz widerspiegeln innere Stimmungen. Die dunklen Schatten evozieren Ruinenlandschaften, die in diesem Falle nicht konkret, sondern eher symbolisch gemeint sein dürften. Dennoch ist die Stimmung nicht ausschließlich dunkel, wie der türkisfarbene Hintergrund vermuten lässt.
Weich und zauberhaft dagegen wirken wie märchenhafte Räume, die uns Rosa Bittner erschließt.
Zugegeben das Auge muss sich erst einmal darin zurechtfinden: Ein visueller Spaziergang in einer Welt, in der das zerbrechliche Gleichgewicht offensichtlich wird. Einerseits die Schönheit und Zartheit, andererseits auch die Vergänglichkeit.
Ekaterina Gasmi und Natalia Baumeister stellen nicht zum ersten Mal gemeinsam in der Galerie Böhner aus. Geboren wurden beide in den 80er Jahren in Moskau. Ihre künstlerische Ausbildung und ihre Vorstellung von Kunst sind ziemlich identisch. Das Können und die Präzision bei der technischen Ausführung lassen erkennen, dass beide, wie auch in den Biografien sichtbar wird, ihr Handwerk gründlich erlernt hatten. Beide studierten an der Textil Universität Moskau. Nach dem Abschluss des Studiums gingen sie nach Deutschland. An der Kunstakademie Düsseldorf erweiterten sie ihren künstlerischen Horizont durch ein Zusatzstudium im Fach Malerei bzw. Bühnenbild.
Die Bilder beider entstehen aus der Beobachtung heraus. Und diese Beobachtungen hängen sehr oft mit Reisen zusammen, bei Natalia zum Beispiel, Bleistiftzeichnungen aus Venedig. Deutlich zu spüren, bei den Zeichnungen von Baumeister und bei der Malerei von Gasmi – die wirkungsvolle Verknüpfung von Detail und Gesamteindruck.
„Bilder wie diese zu malen, dauert Wochen“, erläutert Ekaterina Gasmi einmal im Gespräch. „Ich arbeite mit Öl-Lasuren. Manchmal sind mehr als zehn Schichten übereinander gemalt. Dazwischen sind immer Trockenperioden eingeplant, in denen das Bild ruht.“
Auf diese Weise wird ein realistischen Eindruck von Transparenz und Spiegelung erzeugt.
In genau die entgegengesetzte Richtung scheint sich die künstlerische Arbeit bei den Zeichnungen zu entwickeln, wie an der Auswahl der Arbeiten von Natalia Baumeister im oberen Stockwerk der Galerie deutlich wird. Während bei der Malerei auf die beschriebene Weise durch das Wechselspiel der Kontraste eine atmosphärische Dichte entsteht, ergibt sich die Bildwirkung bei den Zeichnungen durch die Reduktion der koloristischen Vielfalt auf Grauwerte und Umrisslinien. Bei diesen Motivgruppen fällt auf, dass die Künstlerin ihre Zeichnungen von subjektiven Spuren freihält. Sie lässt allein die Szene für sich sprechen. Nichts in diesen Zeichnungen zeugt von einer inneren Bewegtheit oder von emotionalen Schwingungen. Der Stil verrät hier eine schöpferische Distanz zum Objektiven.
Eine solche Entdeckungsreise in die Welt der Zeichnung lässt sich an den Arbeiten eines dritten Gastes aus Russland noch weiter vertiefen: Elena Timtschenko hat schon als Kind mit Kugelschreibern gezeichnet und dabei erstaunliche Dinge festgehalten, die ihr auf ihren Reisen durch die Taiga oder im Nordkaukasus begegnet sind. Dabei erlernte sie, wie sie sagt, das Sehen und das Erkennen von Räumen. Was der oberflächlichen Betrachtung entgeht, fängt sie ein. Mit offenen Augen durchs Leben zu gehen bedeutet die Perfektion zu erkennen, mit der die Natur in diesen unscheinbaren Details ihre Gestaltungskraft entfaltet. Manchmal nutzt sie tatsächlich Lupen, um die kaum sichtbaren Details bei ihren Fundstücken so genau wie möglich zu erfassen. In der Zeichnung stark vergrößert, erhalten diese kaum wahrnehmbaren Gebilde dann eine beeindruckende Monumentalität. Die Formen und Strukturen erinnern an tektonische Verwerfungen, sind aber, wie die Künstlerin im Vorgespräch einräumt, von Holz inspiriert. Sie beschreibt sie als Lebensräume, als Habitate. Hölzer und Rinden, die Räume für die Kleinlebewesen bieten. Die Farben, die sie ihnen gibt, betonen die Veränderungen der Strukturen durch Verwitterungsprozesse.
Heinz-Peter Kohlers künstlerische Handschrift offenbart die Entdeckerfreude, die dem 1935 Geborenen bis heute erhalten geblieben ist und die man bei jedem einzelnen Werk von ihm spürt. Er hat in den 1950 Jahren in München studiert und stand der Gruppe SPUR nah, die aus der Distanz gesehen, wie die deutsche Variante des amerikanischen abstrakten Expressionismus erscheint. Diese Freude an solchen dynamischen Farbabstraktionen erkennt man an den Arbeiten des Schweizers bis heute:
Bei seinen Aquarellen ist nichts Routine. Jedes Blatt bietet immer wieder überraschende Seherlebnisse und unterscheidet sich von den vorher gesehenen, obwohl sich der Duktus, bald temperamentvoll, bald feinmaschig poetisch, wie ein unverkennbarer roter Faden durch das Gesamtwerk zieht.
Zwischen Paul Klee und den Aquarellen von Heinz-Peter Kohler scheint eine Art Seelenverwandtschaft zu bestehen. Es ist auch zu vermuten, dass diese Bilder, ähnlich wie bei Klee, Tagebuchcharakter haben, also in malerischer Form Stimmungen und Gedanken episodisch zusammengefasst werden. In dieses Wechselspiel zwischen Spontaneität und Überarbeitung fließen unbewusst tägliche Erlebnisse und Gedanken ein. Dies ist auch hier, bei den Arbeiten aus den späten Jahren gut nachzuvollziehen. Dabei fällt allerdings auf, um wie viel spontaner und freier Kohler arbeitet. Dabei erscheint es bei manchem Werk so, als schwebe die Komposition aufgrund der transparenten Wirkung der Aquarellfarbe wie in einer Glaskugel.
Ganz der Konkreten Kunst hat sich Friedhelm Wolfrat verschrieben. Dies bedeutet, dass er seine Malerei nicht illusionistisch versteht, er will nichts vorstellen, sondern er reduziert sich auch die Grundelemente der Malerei, nämlich Farbe, Fläche und Format. Duktus oder Emotion, wie sie im Gestus offensichtlich wird, tritt dabei vollkommen in den Hintergrund. Es entstehen Serien, bei denen diese Elemente unterschiedlich zusammengesetzt, spannende Wechselbeziehungen sichtbar werden lassen.
Stefanie von Quast changiert künstlerisch zwischen der zweiten und der dritten Dimension. Sie ist sowohl Bildhauerin als auch Malerin und hat sich die unterschiedlichsten Techniken dabei erarbeitet. Den Bronzeguss zum Beispiel, den sie in klassischer Form bei ihren Torsi, die Sie im oberen Stockwerk der Sammlung & Galerie Böhner finden, anwenden kann, oder bei den hier kokett sitzenden Figuren mit bunter Patinierung auf Holzstelen aufgesockelt. In ihre Arbeiten bringt sie ein positives Lebensgefühl ein, das der Betrachter spürt. Bei der Malerei ist es die Musik, der Tanz, die Freude überhaupt an der Bewegung, die sich wie ein roter Faden durch ihr vielschichtiges Gesamtwerk zieht.
Verena Stuhlreiter und Carolin Hinterseer komplettieren den Bereich der Skulptur und Plastik in der aktuellen Ausstellung.
Carolin Hinterseer hat an der Berufsfachschule in Berchtesgaden den Beruf der Holzbildhauerin erlernt und später in München den Meisterbrief in diesem Fach erworben. Eng verknüpft mit diesem Beruf ist auch die Kunst der Fassmalerei, bei der es um die farbliche Fassung bzw. auch um das Vergolden solcher traditionellen Bildwerke geht. In ihrem freien künstlerischen Werk nutzt sie die Kenntnis um Material und Technik. Die Figuren, die sie schafft, sind dabei allerdings ausgesprochen filigran und abstrakt.
Ebenso ihre Kollegin, Verena Stuhlreiter, die genau dieselbe Ausbildung durchlaufen hat und ebenfalls ist Holz ihr Medium. Aber auch Bronze: Die filigranen Flügel, die sie hier sehen, sind aus diesem edlen Material. Zunächst entsteht einmal eine Wachsform aus sorgfältig übereinander gelagerten Streifen, vermittels der dann die Hohlform für den Bronzeguss entsteht.
Bei beiden jungen Künstlerinnen, die Handwerk und Kunst miteinander verbinden, ist offensichtlich, dass es ihnen ein Anliegen ist, zu zeigen, dass es in der Kunst keinen Gegensatz zwischen Tradition und Moderne gibt, zwischen überlieferter Form und Aufbruch zu neuen Ufern und der Reiz gerade darin liegt, beides in einem Kunstwerk zu vereinen.
Text: Dr. Helmut Orpel
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