14.09. – 30.10.2019
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Christine Stettner ist geborene Münchnerin. Sie studierte Malerei und Grafik. Außerdem absolvierte sie eine Ausbildung als Kunsttherapeutin. Seit dem Abschluss ihrer Studien und ihrer Ausbildung ist sie als freie Malerin und auch als Dozentin in der Aus- und Weiterbildung von Kreativ- und Kunsttherapeuten engagiert. Heute lebt Christine Stettner im beschaulichen Traunstein.
Was ist der Ansporn ihres künstlerischen Schaffens, welche Intentionen liegen ihrem doch sehr vielschichtigen Werk zu Grunde?
Das sind, wie sich aus verschiedenen Aussagen ergibt, vor allem zwei Aspekte: Das Ich, oder vielmehr das Selbst in seinem Weltbezug und das Du, der andere Mensch, den sie bei ihren Streifzügen durch die Großstadt immer wieder neu erlebt, denn obwohl sie in der Abgeschiedenheit der bayrischen Alpen lebt, ist immer wieder die Großstadt die Inspirationsquelle, aus der sie schöpft – die Stadt und die Menschen, denen sie dort begegnet. So sagt sie über sich selbst: „Die Stadt, möglichst groß, mit vielen Fremden darin. Ich nehme die Dahineilenden wahr. Ihre Bewegungen, ihr gezeigtes Verhalten. Das Staunen, dass jeder Mensch ein Kunstwerk ist, einzigartig und unverwechselbar. Der Mensch, weil er das ständig-sich-Wandelnde und das gleichzeitig immer Wiederkehrende ist.“
Diese Worte, mit denen Christine Stettner ihre künstlerischen Intentionen selbst beschreibt, geben uns gleichzeitig einen Einblick in eine sprachliche Ausdrucksfähigkeit, welche in zahlreichen Gedichten ihren Niederschlag findet. Arbeiten von Christine Stettner waren schon mehrfach in der Galerie Böhner in Gruppenausstellungen zu sehen. Außerdem gab es vor mehr als zwei Jahren hier in der Schwetzinger Straße eine erste Einzelausstellung mit Unikaten. Diese Werke blieben vor allem durch die tiefschichtig angelegte Farbkraft in Erinnerung. Wie im Traum verschmolzen Figuration und suggestiven Farbwirkung. Die künstlerische Intention erscheint dabei als spontaner Akt, gleichzeitig aber als Selbstverortung und Befreiung von Konventionen. Dabei wurden neben der herkömmlichen Acrylfarbe auch unkonventionelle Mittel und Techniken eingesetzt, um so die Skala der Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Damals kamen neben konventionellen Farben auch Wachs sowie Zeichenstift und Schelllack zum Einsatz.
Dass sie auch ihr druckgraphisches Werk präsentieren möchte, hatte Christine Stettner damals schon angekündigt. Heute sehen wir daraus einen Querschnitt, und Sie werden feststellen, die Wirkung dieser Sektion aus ihrem Werk ist eine andere als damals bei den Unikaten, denn die Druckgraphik verlangt eine andere Formensprache als das Unikat. Diese Gegebenheit ruft die Erinnerung an die damals sehr lebhaft geführte Diskussion zurück, bei der es um die Wechselbeziehungen zwischen Material, Technik und künstlerischer Intention ging. Dabei betonte die Christine Stettner, dass Material ebenso wie die Technik keineswegs neutral sind, sondern durch die davon ausgehende spezifische Energie und Ausstrahlung bildmächtig wird und somit auch die Wahrnehmung des Inhalts beeinflusst. Andererseits verlangt gerade diese Eigenschaft eine Anpassung der Formen, die, wie Sie sehen, hier erfolgt ist.
Was bei diesen Arbeiten hier auffällt: Hier geht es weniger um die Figuren wie bei den Unikaten, sondern viel mehr um die Strukturen. Die Tiefenwirkung wie bei den Unikaten wird allerdings auch hier angestrebt. Das Bild baut sich gleichsam von innen heraus auf. Bei allen Unterschieden ist parallel, dass darauf abgezielt wird, Entstehungsprozesse offenzulegen. Nicht nur das fertige Resultat, sondern auch der Malakt selbst, der in den Bildern seine Spuren hinterlassen hat, erschienen hier. Die Farbradierung ist eine graphische Technik, die Christine Stettners Intentionen sehr entgegenkommt.
Farbradierungen haben sich in der Kunstgeschichte erst relativ spät entwickelt. Während bereits Rembrandt die Radiertechniken verwendete, finden wir erst im 20. Jahrhundert Künstler, die Farbradierungen produzierten. Ein Meister der Farbradierung war Johnny Friedländer. Etwa um die gleiche Zeit, als Friedländer in Paris wirkte, entdeckte ein anderer Künstler, nämlich William Stanley Hayter ebenfalls die Farbradierung als geeignetes Medium. Allerdings ging er anders als Friedländer an die technische Umsetzung heran und druckte mit nur einer Platte, wohingegen Friedländer bei Farbradierungen drei separate Platten herstellte und sie jeweils einzeln übereinander druckte.Bei Friedländer entstanden dabei Farbmischungen aus den übereinander gedruckten Farben, die die Leuchtkraft reduzierte. Bei William Stanley Hayter hingegen blieb diese Leuchtkraft erhalten, weil sich die Farben hier nur optisch, das heißt im Auge des Betrachters, mischen. Bei Hayters Art der Farbradierung werden die Druckplatten in unterschiedlichen Stufen geätzt. Entsprechend dieser Stufen wird die Druckfarbe, die bei jedem Auftrag eine spezifische Konsistenz (Viskosität) aufweist, mit unterschiedlich harten Walzen eingefärbt, sodass die Farben sich nicht miteinander verbinden. Auf diese Weise entsteht ein mehrschichtiges Druckbild, was sich jedes Mal, da die Einfärbung individuell erfolgt, verändert und somit jedes einzelne Blatt einem Unikat gleichkommt. Die optimale Wirkung entfalten diese Graphiken aus der Entfernung. Aus der Distanz gesehen entsteht im Auge des Betrachters eine optische Mischung. Beim Nähertreten werden die unterschiedlich transparenten Bildschichten erkennbar, ein Wechselspiel, das neue Seherfahrungen ermöglicht.
Text: Dr. Helmut Orpel
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