24.09. – 20.11.2016
Meine sehr geehrten Damen & Herren,
heute Abend, meine Damen und Herren, begegnen Sie hier in der Galerie Böhner einer für uns Europäer ungewöhnlichen Kunstform, die Verbindung zwischen Metallskulptur und dem japanischen Ikebana. Kunst aus dem Land der aufgehenden Sonne ist uns in der Galerie Böhner ja nichts Unbekanntes. Im vergangenen Frühjahr gab es sogar eine Gruppenausstellung mit einer Reihe japanischer Künstler, wo auch Yuko Akiya, der heute diese Einzelausstellung gewidmet ist, mit ihren Skulpturen dabei war. Heute ist sie sogar selbst zugegen und was Sie uns zu ihren Arbeiten zu sagen hat, lassen uns diese Werke genauer erkennen.
Japan ist uns künstlerisch gesehen näher als man auf den ersten Blick denkt. Der Japonismus in Paris stand am Anfang der Entwicklung der modernen Kunst. Besonders augenfällig ist dies in den Werken von Vincent van Gogh, der in den japanischen Farbholzschnitten von Hiroshige und Hokusai die Offenbarung fand, die er für sein Schaffen anderswo vergeblich gesucht hatte.
Aber auch in der neueren Zeit wurde die Kunst aus Japan in der westlichen Welt immer wieder rezipiert. Japan wurde, was elegantes Interieur Design betrifft, marktführend, nicht zuletzt deshalb, weil es mit viel Fingerspitzengefühl Funktion und Ästhetik verbindet. In diesem Kontext ist auch die Kunst des Ikebana zu sehen. Ikebana, was so viel heißt wie „lebende Blume“, ist eine Kunstform, die ausschließlich in Japan entwickelt wurde und die wie die Kalligraphie und die Dichtkunst zur Ausbildung jedes jungen Adligen gehört.
„Es gibt ganz große Unterschiede zwischen der Blumensteckkunst wie sie hier im Westen gepflegt wird, und dem Ikebana, wie es die Japaner seit Generationen praktizieren“, erzählte die Künstlerin im Vorgespräch zu der Ausstellung. Nach den Hauptmerkmalen dieses Unterschieds gefragt, antwortete sie:
„Es ist der Raum, die Gesamtheit der Objekte, die im Raum stehen und die wir in unsere Kunst miteinbeziehen, wenn wir Ikebana machen.“
Farben und Formen, Linien und Verbindungen ändern hier das Gesamtgefüge und geben ihm einen neuen Sinn. Insofern möchte man folgern, dass die Skulpturen von Yuko Akiya zunächst einmal in Gestalt von komplexen Blumenarrangements entstanden sind, die die Räume neu und anders erlebbar machten. Von daher war der Schritt zu den Metallskulpturen nicht weit.
Im Laufe ihrer weiteren künstlerischen Entwicklung besuchte Yuko Akiya Kunstmessen in Japan, Dubai und in Frankreich und machte dabei die Erfahrung, dass es offensichtliche Parallelen zwischen Ikebana und zeitgenössischer westlicher Kunst gibt, die sie dazu führten, ihrer gestalterischen Ideen auch mit dauerhaften Materialien umzusetzen. So entstanden die ersten Metallskulpturen, die bald internationale Anerkennung fanden.
Hier in der Galerie sehen Sie nun Kostproben aus den verschiedenen Bereichen ihres Schaffens: Ikebana und Skulptur. Die Aussage, dass die Blumenkunst hier Inspirationsquelle für die Skulptur ist, erscheint mir aufgrund dieser Gegenüberstellung, leicht nachvollziehbar. Im Prinzip verraten ihre Skulpturen viel über ihr räumliches Denken. Sie kreiert Räume und verbindet in diesen Kreationen Statik, was ja eine Grundbedingung für Räume ist, und Dynamik, die Räume unter Umständen auflöst. Dies können sie bei dieser Arbeit, die mit „Ruhe vor dem Sturm“ betitelt ist, bestens studieren. Die schwarzen und weißen Kugeln, die an unsichtbaren Stäben scheinbar schwerelos im Raum hängen, verkörpern Gegensatzpaare, die eine Spannung aufbauen. Die Dreiecke, die funktional gesehen hier auch eine Stabilisierungsfunktion haben, erscheinen wie kantige Blitze, die das Unwetter ankündigen.Interessant bei diesem Objekt ist auch die Spiegelung, die dessen Dimension, wenn Sie von oben in das Objekt hineinsehen, bis ins Unendliche erweitert.
Die beiden benachbarten Objekte drücken ebenfalls ein Gegensatzpaar aus, die runden Flächen Harmonie, die rechteckigen, kantigen Dissonanz. Im Gegensatz zu dem erstgenannten Werk bilden beide allerdings einen in sich geschlossenen Kosmos. Dennoch sieht Yuko Akiya den engen Zusammenhang, den sie auch durch die unterschiedliche Größe ihrer Objekte betont haben möchte.
Von erzählerischem Charakter ist die Arbeit der Künstlerin hier in der einen Ecke. Mit viel Phantasie kann man hier einen Sonnenaufgang über dem japanischen Meer erkennen und davor scharfkantige Klippen, denen gerade ein Schiffer entkommen ist. Die Künstlerin möchte ihr Werk auch unter diesem symbolischen Aspekt verstanden wissen, als ein Mut machendes Bild, das Gefahren nicht kleinredet, und trotzdem an die Kraft appelliert, die es möglich macht, der Bedrohung zu widerstehen.
In der Arbeit „Hurrikan“ wiederum ist der Raum unter der Kraft der Wirbelstürme ganz zusammengezogen. Diese enorme Gewalt entfaltet hier ihre zerstörerische Wirkung und walzt alles nieder, was ihr in den Weg kommt.
Dass solche Themen in der heutigen japanischen Kunst verstärkt vorkommen, ist kein Wunder. „Es ist Teil unserer Mentalität“, erklärt Yuko Akiya.
„Es ist kaum 5 Jahre her, da verwüstete dieser schreckliche Tsunami unser Land. Wir leben auf einer Insel voller Gefahren und wir sind uns bewusst, dass nichts von Dauer ist. Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche und Tornados, das hat es alles schon gegeben und wird es immer wieder geben. Wir leben damit, sonst müssten wir die Insel verlassen. Das wollen wir nicht, denn wir lieben unser Land, deshalb bleiben wir, sind aber ständig darauf gefasst, dass etwas passiert“.
Neben dieser äußeren Welt gibt es im Werk von Yuko Akiya auch eine innere Welt, die der Gedanken, die kreisen und je älter man wird, umso intensiver kreisen sie. Gesammelte Erinnerungen, wie die drei rundlich aufgebauten Körper heißen, veranschaulichen dies eindrücklich mit transparenten gebogenen Stäben, die von außen nach innen und von dort wieder nach außen gehen.
Gershwins „Rapsodie in Blue“ findet ihre Widerspiegelung in einem Werk, dem der Titel „Rapsodie in Ultramarinblau“ gegeben wurde. Dies ist eine Arbeit, bei der zum ersten Mal Farbe auftaucht, die Yuko Akiya dem Metall durch Hitze einverleibt hat. Von dieser Arbeit gibt es eine größere Fassung, die bei einer Ausstellung in Dubai große Beachtung fand.
Auch eine Arbeit im hinteren Raum der Galerie ist einem musikalischen Thema gewidmet. Im „Rondo nach dem Regen“ geht es um Tanz, dem hier räumlich eine Kugelgestalt verliehen wurde. Die Eindrücke der Skulpturen in der Nachbarschaft stammen aus der Türkei. Dorthin reiste sie und war vor allem von den bizarren Felsformationen fasziniert. Sie erkundete Kappadokien auf einer Reise mit dem Ballon und war total beeindruckt.
Diese Eindrücke verarbeitet sie zu Hause in ihrem Atelier. Sie benutzt dazu weder Skizzen noch Fotografien, sondern arbeitet mit dem Material, das ihr zur Verfügung steht. Nur so kann sie der Erinnerung die adäquate plastische Form verleihen.
Text: Dr. Helmut Orpel
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